BEHAVIOUR PATTERNS
Psychologie und Verhaltensbiologie sprechen viel von Verhaltensmustern, sowohl in Bezug auf angeborene oder erlebte Bewegungsabfolgen als auch in der sozialen Interaktion. Das bedeutet, dass Denken und Handeln immer wieder in gegebenen, erfahrenen oder erlebten Rastern erfolgt. Auf der anderen Seite scheint das Erkennen von Mustern eine unabdingliche Voraussetzung für das Fällen von Entscheidungen zu sein. Alles Leben muss permanent Entscheidungen treffen. Da kann man sich gut an Entscheidungsmustern orientieren. Wie habe ich mich in ähnlichen Situationen vorher entschieden? Wie entscheiden meine Peers? Die Kognitionswissenschaft, die sich mit der Verarbeitung von Information im Rahmen von Wahrnehmungs-, Denk- und Entscheidungsprozessen befasst, widmet dem Feld der Mustererkennung sehr viel Aufmerksamkeit.
Das tut auch die Informatik. Mustererkennung ist ein wesentlicher Bestandteil vieler KI-Anwendungen und ermöglicht es den Systemen, aus Daten zu lernen, Muster zu identifizieren und auf dieser Grundlage Entscheidungen zu treffen. Die Bayerische Akademie der Wissenschaften hat am 22.Juli 2022 ein Symposium „Künstliche Intelligenz. Maschinelles Lernen und Mustererkennung” betitelt. Mustererkennung und Algorithmen gehören eng zusammen. In den gesammelten Daten der Welt suchen Analysten nach Mustern, um halbwegs verlässliche Voraussagen zur Basis für Entscheidungen zu machen: in der Medizin, in der Kriminologie, im Marketing, in der Musik, in der Produktion, in beinahe allen Bereichen unseres Lebens.
„Verhaltensmuster” fasst drei Bildserien aus der Zeit zwischen Herbst 2021 und Dezember 2022 zusammen: „Im Nachhinein”, „Im Gegenzug” und „In Gutem Glauben”. Sie tänzeln um eine handvoll Themen und erforschen, ob es möglich ist, Verhaltensmuster, zumindest in unseren Sehgewohnheiten, aufzubrechen. Die Aussichtslosigkeit dieses Unterfangens ist bekannt, aber das Experimentieren damit ermöglicht es uns, vielleicht wenigstens für einen Moment Ungewohntes und neue Zusammenhänge zuzulassen.
Die Frage nach der Bedeutung von Bildern und ihrer Unabhängigkeit, steht auch in diesen Serien im Vordergrund. Mit einem Kunststudium aus der Mitte der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts ist das Fundament der Kunst im Westen, dass es sich nicht mehr gehört, durch Bilder etwas repräsentieren zu wollen. What you see is what you get. Alles andere ist bereits in die Fallen der Macht und Mächtigen getappt. Im Nachkriegsdeutschland wurde die Kunstgeschichte zweiflügelig. Die DDR verlangte von ihren Künstlern die Heroik des proletarischen Alltags zu verherrlichen. In der BRD versuchte man die grausame Gewissheit der Gräuel der Nazivergangenheit durch eine Rückbesinnung auf einen Nullpunkt zu verarbeiten. Den Protagonisten des Kalten Krieges kam es in den USA sehr gelegen, dass Künstler einen abstrakten Expressionismus zelebrierten, gänzlich ohne Figürliches, was ja von den Kulturbeamten im Einfluß der Sowjetunion von Künstlern unabdingbar erwartet wurde. Das liess sich hervorragend als Symbol für die Überlegenheit der Freiheit im Westen vermarkten. Wenn die Ideologie des Ostblocks etwas als dekadent bezeichnet, sollte man es im Westen noch mehr fördern.
Eine Folge meiner Beschäftigung mit Film und Filmemachern ist aber auch die Erkenntnis der Bedeutung von Geschichten. Durch die Boebachtung, wie ander handeln, lernen wir uns kennen. Wenn wir uns unsere Geschichten erzählen, verstehen wir aber das Handeln des Anderen im Zusammenhang. Geschichten lassen sich hervorragend durch Bilder erzählen. Der sozialistische Realismus hat den Geschichten und den Bildern ein ideologisches Korsett angelegt. Das mindert aber nicht die Wirkung der Erzählung durch Bilder und bewegte Bilder, sei es im fotografischen Journalismus, in der Kunst, in der Kinoindustrie Hollywoods oder im Art-House Film. Data Analytisten sprechen von Data- Storytelling. Die Visualisierung im Data Storytelling verbindet textuelle Elemente und Daten zu einem narrativen Fluss (eine sinnstiftende Erzählung) um so ein einprägsames Bild zu schaffen (intelligent-analysieren.de)
Der US-amerikanische Literaturwissenschaftler Peter Brooks gehörte zu denen, die die Bedeutung des Geschichtenerzählers hervorgehoben haben. 1984 hat er „Reading the Plot” veröffentlicht, das er mit dem Satz eröffnet: Unser Leben ist unaufhörlich mit Erzählungen verflochten, mit den Geschichten, die wir erzählen und hören … Wir leben in Erzählungen, erzählen und bewerten die Bedeutung unserer vergangenen Handlungen neu, antizipieren das Ergebnis unserer zukünftigen Projekte und verorten uns an der Schnittstelle mehrerer Geschichten, die noch nicht fertig sind. In seinem Ende 2022 erschienen Buch „Seduced By Story: The Use and Abuse of Narrative” beklagt er die feindliche Übernahme der „Narrative” über die Wirklichkeit. Alles wird über Narrative erklärt. In einem Interview, veröffentlicht in der „Zeit” am 7.1.2023, eröffnet er das Gespräch mit: Ich denke darüber nach, wie sehr die schiere Menge an Geschichten in unserer Kultur zugenommen hat. Alle wollen dir heute ihre Geschichte erzählen. Ich kann keine Tafel Schokolade kaufen, ohne dass mir auf der Rückseite die Geschichte der Firma erzählt wird. Und ich frage mich: Sind diese Geschichten es wert, gehört zu werden? Sind sie wichtig? Sind sie egal oder sind sie vielleicht sogar geradezu toxisch? Und wie beeinflussen sie die Realität – wenn etwa Trump die Geschichte vom Wahlbetrug erzählt und seine Anhänger das Kapitol stürmen? Sind Geschichten also doch überbewertet oder gar gefährlich? Wir verlieren einen Sinn für die Fiktionalität von Fiktion sagt er später in dem Interview und fordert dazu auf, mehr zu analysieren, nach rationalen Argumenten zu suchen, obwohl das auch nicht ohne Geschichten auskommt.
Im Zuge eines Urlaubs im Südwesten Frankreichs hatte ich einen Tagesausflug in die Pyrenäen unternommen. Zurück am Urlaubsort wollte ich meine Begeisterung mit dem Rest der Reisegruppe teilen, aber dafür hatte keiner so richtig Zeit. Die Enttäuschung darüber hat zu dem Anreiz geführt, in Zukunft das Erlebnis durch Fotografien zu archivieren. Vielleicht können die Fotos ja später daraus Geschichten erzählen oder neue Geschichten erfinden. Aber ist das dann etwas anderes, als die Millionen Fotoalben, die auf Handys lagern?
Bilder sind allgegenwärtig. In Deutschland hat im Schnitt jeder 1070 Bilder auf seinem Smartphone gespeichert, zitiert „Die Welt” am 22.09.2020 eine Studie, die zwischen Dezember 2018 und Juni 2019 die Daten von sechs Millionen Nutzern einer sogenannten Clean-up-Software analysiert hat. Die vermutete Objektivität der Fotografie - so, wie es auf dem Foto festgehalten ist, so ist es gewesen - ist schon lange der Gewissheit gewichen, dass Fotos herrlich verfälschen können und dass mit Bildern hervorragend manipuliert werden kann, lange bevor immer perfektere Bildsoftware unser Vertrauen in Bild-Authentizität durch fake videos und fake news endgültig erschüttert hat.
Dann könnte man Bilder doch einfach links liegen lassen, und nach anderen Formen für Wissensvermittlung und emphatischen Gefühlsausdruck suchen. Das würde aber ausser Acht lassen, welchen Einfluss unsere Augen und das, was wir damit sehen, auf uns und unser Wohlbefinden haben. Wir produzieren Speichel, wenn wir nur ein Bild davon sehen, wie jemand in eine Zitrone beisst, dabei ist das Saure nicht real, sondern nur ein Eindruck. Auch diejenigen, die sich im abstrakt-binären Raum der Programme und Softwarentwicklung vollkommen zu Hause fühlen, greifen immer wieder auf Sehgewohnheiten zurück oder vergreifen sich daran. Also haben Bilder, trotz aller Probleme mit Ihnen, eine große Bedeutung für uns. Kann man denn lernen, Bildern wieder zu vertrauen? Kann man Bilder emanzipieren, damit sie Geschichten entfachen, die wahr sind, aber nicht manipulieren? Kann man Bilder so einsetzen, dass sie ihre eigenen Geschichten erzählen, unabhängig von dem, der sie ursprünglich mal gemacht hat? Kann man die Rolle des Autors stärker an die Bilder delegieren? Kann man Bilder sehen, ohne „Wo ist das?”, „Wer ist das?”, „Wann war das?” fragen zu wollen? Können Muster, die aus Bildern künstlerisch konstruiert wurden, der Fundus für bisher ungekannte Ergebnisse von Datenanalysen sein? Sind Bilder ohne klar erkennbare Gegenständlichkeit inhaltslos? Sind abstrakte Gedanken bedeutungslos? Um solchen Fragen nachgehen zu können, folgen „Im Nachhinein”, „Im Gegenzug” und „In gutem Glauben” dem Versuchsaufbau aus früheren Serien und entwickeln ihn weiter, um den Schlüssen aus früheren Experimenten Raum zu geben.
Psychology and behavioural biology often discuss behaviour patterns, both in terms of innate or learned sequences of movements and in social interaction. This means that thinking and acting repeatedly occur within given, experienced, or observed frameworks. On the other hand, recognising patterns seems to be an essential prerequisite for making decisions. All life must make decisions continuously. In such cases, we can draw guidance from decision patterns. How have I decided in similar situations before? How do my peers decide? Cognitive science, which deals with the processing of information in the context of perceptual, thinking, and decision-making processes, devotes a great deal of attention to the field of pattern recognition.
So does computer science. Pattern recognition is an essential component of many Artificial Intelligence applications and enables systems to learn from data, identify patterns, and make decisions based on them. On July 22, 2022, the Bavarian Academy of Sciences organised a symposium titled „Artificial Intelligence: Machine Learning and Pattern Recognition.“ Pattern recognition and algorithms are closely linked. Analysts search for patterns in the collected data of the world to make reasonably reliable predictions as the basis for decision-making in medicine, criminology, marketing, music, production, and nearly all areas of our lives.
„Behaviour Patterns“ combines three series of images from the period between autumn 2021 and December 2022: „In Retrospect,“ „In Return,“ and „In Good Faith.“ They revolve around a handful of themes and explore whether it is possible to break behaviour patterns, at least in our visual habits. The futility of this endeavour is well-known, but experimenting with it might allows us, if only for a moment, to embrace the unfamiliar and discover new connections.
The question of the significance of images and their independence also takes centre stage in these series. With a background in art studies from the mid-1970s, the foundation of art in the West is that it is no longer appropriate to attempt to represent something through images. What you see is what you get. Everything else has already fallen into the traps of power and the powerful. In post-war Germany, the history of art making took a dual approach. In the German Democratic Republic (DDR), artists were required to glorify the heroism of proletarian everyday life. In the Federal Republic of Germany (BRD), attempts were made to process the cruel certainty of the horrors of the Nazi past by reflecting on a zero point. For the protagonists of the Cold War, it was highly convenient that in the United States artists celebrated abstract expressionism, completely devoid of figurative elements, which was precisely what cultural officials under the influence of the Soviet Union demanded from their artists. This could be excellently marketed as a symbol of the superiority of freedom in the West. When the ideology of the Eastern Bloc labeled something as decadent, it should be further promoted in the West.
However, one consequence of my engagement with film and filmmakers is also the realisation of the importance of stories. By observing how others act, we come to know each other. But when we tell our stories, we understand the actions of others in context. Stories can be effectively conveyed through images. Socialist realism imposed an ideological framework on stories and images. However, this does not diminish the power of storytelling through images and moving images, whether in photographic journalism, art, the Hollywood film industry, or art-house films. Data analysts refer to this as data storytelling. Visualisation in data storytelling combines textual elements and data to create a narrative flow (a meaningful story) in order to create a memorable image (intelligent-analysieren.de).
The American literary scholar Peter Brooks is among those who have emphasised the importance of the storyteller. In 1984, he published „Reading the Plot,“ which opens with the sentence: Our lives are continually intertwined with narratives, with the stories we tell and hear... We live in narratives, reevaluating the meaning of our past actions, anticipating the outcome of our future projects, and situating ourselves at the intersection of multiple unfinished stories. In his book „Seduced By Story: The Use and Abuse of Narrative,“ released at the end of 2022, he laments the hostile takeover of „narratives“ over reality. Everything is explained through narratives. In an interview published in „Die Zeit“ on January 7, 2023, he begins the conversation with: I think about how much the sheer volume of stories has increased in our culture. Everyone wants to tell you their story today. I can‘t buy a chocolate bar without being told the company‘s story on the back. And I wonder: Are these stories worth listening to? Are they important? Are they inconsequential, or perhaps even downright toxic? And how do they influence reality—like when Trump tells the story of election fraud and his followers storm the Capitol? So, are stories overrated or even dangerous? Later in the interview, he says: We lose a sense of the fictionality of fiction and calls for more analysis, searching for rational arguments, even though that also cannot do without stories.
During a vacation in southwestern France, I took a day trip to the Pyrenees. When I returned to the holiday home, I wanted to share my enthusiasm with the rest of the travel group, but no one seemed to have time for it. The disappointment led to the incentive to archive the experience through photographs in the future. Perhaps the photos can tell stories or invent new ones later. But is that any different from the millions of photo albums stored on phones?
Pictures are ubiquitous. In Germany, on average, each person has 1,070 images stored on their smartphone. „Die Welt“ quoted this on September 22, 2020 from a study, which analysed the data of six million users of a so-called clean-up software between December 2018 and June 2019.
The assumed objectivity of photography—what is captured in the photo is how it was—has long given way to the realisation that photos can beautifully distort and that images can be manipulated excellently, long before increasingly sophisticated image software finally shook our trust in image authenticity through fake videos and fake news. So we could simply disregard images and search for other forms of knowledge dissemination and empathic expression. However, that would overlook the influence our eyes and what we see have on us and our well-being. We salivate when we see a picture of someone biting into a lemon, even though the sourness is not real but merely an impression. Even those who feel completely at home in the abstract-binary realm of programs and software development repeatedly rely on visual habits or make mistakes based on them. Therefore, despite all the problems associated with them, images have great significance for us. Can we learn to trust images again? Can images be emancipated to ignite stories that are true but not manipulative? Can images be used in a way that they tell their own stories, independent of the person who originally created them? Can the role of the author be delegated more strongly to the images themselves? Can one look at images without asking Where is that? Who is that? When was that? Can patterns constructed artistically from images serve as a treasury for previously unknown results of data analysis? Are images without clearly recognisable objectivity devoid of content? Are abstract thoughts meaningless? To explore such questions, „In Retrospect,“ „In Return,“ and „In Good Faith“ follow the experimental setup of previous series and further develop them to provide space for the conclusions drawn from earlier experiments.