Gedanken und Interessensfelder zur künstlerischen Praxis
Kunst als Denkraum
Kunst ist für mich kein Ausdruck von Innerlichkeit, sondern ein Werkzeug zum Verstehen der Welt. Sie stellt Fragen, öffnet Räume, verschiebt Perspektiven – ein Prozess des Lernens, des Nachdenkens und der Erfahrung. Nicht über Kunst. Sondern über das, was uns ausmacht: gesellschaftlich, historisch, politisch, körperlich, emotional.
Diese Erkenntnis kam früh. Ich begann mein Studium an der Kunstakademie Düsseldorf mit der naiven Erwartung, mich künstlerisch auszudrücken. Doch das Bedürfnis, etwas „aus mir heraus“ zu zeigen, wich bald dem Staunen darüber, was Kunst über andere, über Verhältnisse, über Strukturen erzählen kann. Über das, was uns formt. Seitdem begleitet mich das Interesse an der analytischen, kritischen, manchmal auch ironischen Potenz von Kunst – als Mittel der Welterkundung und Selbstverortung.
Ich glaube an Kunst als eine Form der Intelligenz. Aber auch als Widerstand gegen Vereinfachung, gegen die allgegenwärtige Geste der schnellen Erzählung.
Ein Manifest als Haltung
Viele Jahre nach dem Studium – ich war längst in die Gestaltung von Kunsthochschulen eingebunden – habe ich ein Manifest geschrieben. Kein Mission Statement, sondern eine Sammlung von Überzeugungen. Es entstand aus Gesprächen mit Studierenden, Kolleginnen und Künstlerfreunden. Es war eine Suchbewegung nach einem Selbstverständnis, das über Programmatik hinausreicht. Ich glaube bis heute daran:
Kunst ist Intelligenz: Ein schöpferischer Prozess, der auf intelligenter Intuition, kluger Entscheidung und kritischer Reflexion gründet.
Kunst ist Ausdauer: Nur durch beharrliche Praxis entsteht Tiefe. Kunst ist keine Hop-on-Hop-off-Aktivität.
Kunst ist Großzügigkeit: Sie lebt vom Teilen, von Resonanz und von Verantwortung – nicht nur gegenüber sich selbst, sondern auch gegenüber anderen.
Kunst ist Wissen.: Politisches, verkörpertes, geteiltes Wissen. Ohne Kunst wüssten wir weniger.
Kunst ist Schönheit.: Auch im Verstörenden, im Offenen, im Fragwürdigen. Schönheit ist nicht retro.
Kunsthochschulen sind Orte der Zukunft: Hier wird nicht nur gelehrt, sondern verhandelt, gestritten, geträumt. Hier werden Rollen neu erfunden und Netzwerke geknüpft.
Kunsthochschulen verbinden: Vergangenheit mit Zukunft. Lernen mit Gestalten. Kritik mit Schaffenskraft.
Und sie schärfen den Blick für Qualität: Für jede Form des entschlossenen Tuns.
Dieses Manifest war nie als Dogma gemeint. Es ist vielmehr ein Angebot – zur Haltung, zur Diskussion, zur Verantwortung. Es prägt bis heute mein Denken, mein Arbeiten, mein Lehren.
Künstlerische Praxis: zwischen Form, Kritik und Narration
Meine künstlerische Arbeit begann mit skulpturalen Eingriffen: ortsbezogen, raumspezifisch, oft in Interaktion mit architektonischen Situationen. Mich interessierten die Symboliken öffentlicher Formen – reale wie erfundene. Brücken, Fassaden, Stühle, Obelisken: Träger von Bedeutung, gleichzeitig Trugbilder einer behaupteten Öffentlichkeit.
Mit der Zeit verschob sich mein Interesse: weg vom Objekt, hin zum Bild. Oder genauer: zur Frage, wie wir Bilder sehen, wie wir ihnen glauben, was sie in uns auslösen – und wie wir uns durch sie manipulieren lassen. Das fotografische Bild wurde zu meinem Untersuchungsfeld. Nicht als Medium der Erinnerung, sondern als Instrument der Behauptung.
Ich stelle infrage, was ein Bild zeigt. Und wie es uns etwas zeigt. Der dokumentarische Schein, die vermeintliche Evidenz, die „Wahrheit“ des Fotografischen – das alles erscheint mir brüchig, verführbar, kontrollierbar. Ich möchte Bilder so gestalten, dass sie zwar erzählen, aber keine Erzählung aufzwingen. Dass sie Fragen stellen, ohne Antworten zu liefern. Dass sie sich einer linearen Lesbarkeit verweigern und doch in ein assoziatives Nachdenken führen.
Dabei fasziniert mich der Widerspruch: Wir sehnen uns nach Geschichten. Wir brauchen sie, um uns zu verorten, um andere zu verstehen, um Bedeutung zu stiften. Zugleich wissen wir, wie leicht Narrative sich verselbständigen, politisch instrumentalisiert werden, Wahrheiten verformen, Realitäten produzieren. Besonders öffentliche Narrative – seien sie national, ökonomisch, religiös oder medial – beanspruchen eine Überzeugungskraft, die sich jeder Überprüfung entzieht. Die Gleichzeitigkeit von Erzählverlangen und Manipulationsverdacht durchzieht mein gesamtes Arbeiten. Ich will weder verzichten auf die Kraft des Erzählens noch naiv sein gegenüber seiner Wirkung.
Bücher als Arbeitsform
Seit 2014 erscheinen meine Arbeiten in Buchform. Diese Bücher sind keine klassischen Kataloge und auch keine Bücher, die auf breiten Vertrieb zielen. Sie entstehen in kleinen Auflagen – oft als Unikate oder als hybride Formen zwischen Sammlung, Reflexion und künstlerischem Objekt. Sie verstehen sich nicht als Publikationen im engeren Sinn, sondern als konzentrierte Verdichtungen einer bestimmten Schaffensperiode.
In erster Linie dienen sie mir selbst: als Möglichkeit, zu ordnen, zu reflektieren, sichtbar zu machen, was ich gemacht habe – und was mich dabei gedanklich beschäftigt hat. Die Buchform zwingt zur Auswahl, zur Entscheidung, zur Struktur. Sie ist ein Mittel, das Fließende zu fassen, Übergänge zu markieren, Denkprozesse zu bündeln. Für mich ist jedes Buch auch ein Arbeitsinstrument – keine bloße Dokumentation, sondern ein Erkenntnisraum.
Bilder und Texte stehen in diesen Büchern nicht in einem Illustrationsverhältnis. Die Texte interpretieren nicht. Sie kommentieren nicht. Sie führen vielmehr ein eigenes Gespräch, mit eigenen Themen und Rhythmen. Ihre Verbindung zu den Bildern entsteht eher durch Reibung als durch Erklärung.
Seit 2023 ist der Textanteil deutlich gewachsen. Ich nutze das Schreiben als zweiten Denkraum – unabhängig, aber verwandt mit dem Bild. Die Texte kreisen um Fragen, die aus der künstlerischen Praxis hervorgehen:
– Was tun Narrative mit uns?
– Wer kuratiert Wirklichkeit?
– Warum folgt die Welt einer Logik, die scheinbar unaufhaltsam in autoritäre Strukturen zurückführt?
– Wie verhält sich künstlerische Freiheit zur politischen Realität?
Musik und Struktur
Ein wiederkehrendes Thema ist die Neue Musik. Seit meiner Jugend war ich von ihrer Andersartigkeit fasziniert – auch wenn ich in den 1980ern stark vom Punk geprägt war. Spätere Begegnungen mit Werken von Stockhausen, Philip Glass oder Steve Reich haben mich nachhaltig beeindruckt.
Seit etwa 2010 verfolge ich Konzerte und Festivals intensiv. Besonders interessiert mich, wie junge Komponist:innen mit Form, Struktur und Abstraktion umgehen. Welche Rolle spielen Melodie, Rhythmus, Wiederholung oder Erzählung in der zeitgenössischen Musik?
Ich frage mich oft: Gibt es Parallelen zur Bildenden Kunst? So wie Kandinsky, Mondrian oder af Klint sich vom Gegenständlichen lösten, um innere Zustände, geistige Welten oder Ordnungen sichtbar zu machen – so wie Schönberg oder Webern mit der Atonalität die Romantik überwanden – könnten auch heutige Künstler:innen und Komponist:innen in einer vergleichbaren Bewegung stehen: weg vom Erzählen, hin zur Form, zur Konstruktion, zur Stille.
Und doch scheint es, als kehre bei vielen jungen Künstler:innen und Komponist:innen das Erzählen wieder zurück. Vielleicht in anderer Form. Vielleicht brüchiger, fragmentierter, bewusster. Vielleicht auch, weil Kurator:innen diese Erzählbarkeit bevorzugen – weil Geschichten sich besser vermitteln, ausstellen, verkaufen lassen. Auch das gehört zur Realität zeitgenössischer Produktion: Was als Haltung erscheint, ist oft schon Zuschreibung.
Mich interessiert, was zwischen den Polen liegt: zwischen dem Wunsch, zu erzählen, und dem Bedürfnis, sich diesem Wunsch zu entziehen.
KI als Sparringspartner
Seit 1992 arbeite ich kontinuierlich mit digitalen Bildbearbeitungsprogrammen – lange bevor künstliche Intelligenz ein Thema im künstlerischen Kontext wurde. In den letzten Jahren sind KI-gestützte Werkzeuge hinzugekommen. Ich nutze sie nicht, um Bilder zu generieren, sondern um vorhandenes Bildmaterial zu analysieren, zu korrigieren oder gezielt zu erweitern. Auch viele meiner Texte entstehen im Dialog mit KI – als Form eines produktiven Gegenübers, das Rückfragen stellt, Alternativen anbietet und Begriffe schärft.
Ich begreife künstliche Intelligenz nicht als Ersatz, sondern als Resonanzraum. Als System, das reagiert, wenn ich präzise Fragen stelle. Als Spiegel meines Interesses, meiner Ungenauigkeit, meiner Neugier.
Ich verändere Material, ohne es physisch zu berühren – aber ich hinterlasse Spuren. Auch wenn ich mit digitalen Werkzeugen arbeite, bleibt der künstlerische Prozess einer des Eingreifens, Entscheidens und Zweifelns. Künstliche Intelligenz unterstützt diesen Prozess – manchmal klärend, manchmal widersprechend. Sie produziert nicht selbst. In gewisser Weise ähnelt das der inneren Gegenrede, die jeder ernsthafte künstlerische Prozess ohnehin mit sich bringt. KI ist nicht Ursprung, sondern Resonanz. Kein Ersatz, sondern ein Werkzeug unter vielen – hilfreich, wenn man es kritisch einsetzt.
Und letztlich …
… ist Kunst für mich eine Form der Freundschaft mit der Welt. Eine kritische Freundschaft – offen, unbequem, zärtlich. Eine, die zuhört, widerspricht, vorschlägt, zweifelt. Eine, die nicht belehrt, sondern fragt.
Kunst ist eine Einladung zum Denken. Und vielleicht manchmal – in glücklichen Momenten – auch eine Einladung zur Veränderung.
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